UND IMMER WIEDER SÄGT DIE KETTENSÄGE Marcus NISPEL, deutscher Werbe- und Musikclip-Regisseur, legt mit Hilfe von Produzent Michael BAY den Horror-Film „Texas Chainsaw Massacre“ im Kino neu auf. Die Fragen dürften gestellt werden: bietet der Film tatsächlich etwas neues, oder ist er nur ein weiterer Meilenstein der aufkommenden Renaissance dieses Genres im Kino? Der Fortschritt zum Rückschritt ist im Film manchmal lobenswert. Wenn viel Wahn dabei ist, wenig Sinn und blutige Sequenzen, dann sollte man sich klar machen, dass der ausgelatschte Weg bekannter Slasherfilme leider auch vor „Texas Chainsaw Massacre“ nicht halt macht. Das „Blutgericht in Texas“ vermischt bekannte Motive aus Klassikern der 70er Jahre: etwas aus „Hügel der blutigen Augen“ (Wes CRAVEN, 1977) und der ersten Folge von „Texas Chainsaw Massacre“ (Tobe HOPPER, 1974). Neben Danny BOYL, der mit seinem Untotenfilm „28 Days Later“ (2003) eine retrospektive Huldigung bekannter Schocker wagte, und mit dieser düsteren Hommage an George A. ROMERO (etwa: „Two Evil Eyes“, 1990 und “The Dark Half”, 1993) den grunzenden Unholden im Kino freien Raum ließ, haben nun NISPEL/BAY einen physischen Angriff auf das Publikum gewagt. In konventionellem Grusel durchstreift die Kamera jenes Gelände der verrückten Kannibalenfamilie, mit der sich eine Gruppe von Teens im Clinch befindet. Auf der Suche nach Hilfe für eine psychotisierte junge Frau, die sich kurze Zeit später in dem Auto der jungen Leute erschießt, müssen sie erfahren, dass die Kettensäge Jagd auf die ahnungslosen Stadtmenschen macht. Der fiese Abstieg in den Wahnsinn beginnt. Stilsicher, aber wenig spannend inszenieren NISPEL/BAY einen Film, der von seiner Schablonenhaftigkeit lebt. Dass eine ‚moderne’ Neuverfilmung sich immer an der Ursprünglichkeit messen lassen muss, ist keine Frage. Fragwürdig wird das dann, wenn dieses Genre sich scheinbar selbst wiederbelebt und sich nur noch von seiner morbiden und unangenehmen Art zeigt. Die berüchtigte Horrorfigur ‚Leatherface’, die als frustrierter Teenager mit Gesichtsmaske herumläuft, kann kaum beeindrucken; denn sie stößt auf Ablehnung und Skepsis. Nicht nur weil die Schocker-Einlagen aufs comichafte reduziert werden, sondern deshalb, weil versucht wird, Ängste in den Kopf zu setzen. Für eingefleischte Horrorfans mag das je gerade das Salz in der Suppe sein, doch das Gefühl des beständigen Ausgeliefertseins und des Nicht-Entrinnen-Könnens erinnern an die Bedrohungen durch den Terrorismus und jenen ‚Schwarzen Mann’, der nachts, wenn es dunkel wird, die kindliche Phantasie durchstreift. Die bisweilen sehr harte Neuverfilmung, die im übrigen auch nichts für schwache Nerven ist, wendet sich zum Ende des Filmes mehr und mehr gegen den Zuschauer und bedroht ihn selbst. Die Grenze zwischen Phantasie und Realität, zwischen Fiktionalem und Faktischem, ist gerade im Horror ein unentwegter Gang zwischen den Klippen. Der Wahnwitz dieser und ähnlicher Filme begann bestimmt mit HOPPER und seinem Film „Texas Chainsaw Massacre“ von 1974. Für die meisten Rezensenten der Beginn einer Welle von „phantasielosen-grobschlächtigen“, nur auf „blutrünstige Schockeffekte“ und „ekelerregende Schlachtfeste“ reduzierten Gewaltfilmen. Es kann nicht verhehlt werden, dass die heutige Neuverfilmung hier gnadenlos anknüpft. Der unbekümmerte Umgang mit der Gewalt und drapierten Toten, mit Fleischerhaken, Eingeweiden und ungeklärten Vorfällen, das plötzliche Auftauchen der rohen Kraft, Brutalität und Tod ist ‚desaster movie’. Die Gewaltverherrlichung, die unterschiedlich motiviert auftaucht, direkt oder indirekt thematisiert, und die im Film mit einer diffusen Kausalität unterlegt ist, sollte die kritische Auseinandersetzung nicht scheuen. Wenn auch das überwiegend jugendliche Publikum diesen Film wegen seiner Unbekümmertheit, mit dem das Genre des Horrors hier antritt, eventuell mögen wird, so sägt sich die Kettensäge hier selbst ins Bein. Fazit: Die täglich erfahrbare Gewalt, das Sinken der Hemmschwellen bei Gewalttaten und das Vorpreschen von Gewaltorgien in Staat und Gesellschaft machen ständig betroffen. Wenn das Hereinbrechen des Grauens in die vertraute Gegenwart das Publikum überrascht, man ‚beteiligt’ an abartigen Morden wird, dann ruft das auch Assoziationen zum realen Alltag hervor. Die endgültige ‚Gefahrenbereinigung’ erscheint nicht mehr glaubhaft zu sein. |
Diese Kritik ist die Meinung von Dietmar Kesten.