Kompromisse ist Baz Luhrmann noch nie eingegangen. Er hält sich nicht an die Regeln Hollywoods, verwirklicht konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste seine Sicht der Dinge, seine Visionen von Film. Mit dem überwältigend-bombastischen Musical „Moulin Rouge“ gelingt Luhrmann der große Wurf, der Höhepunkt seines Schaffens. Die bitter-süße Geschichte einer zum Scheitern verurteilten Liebe im Paris des anbrechenden 20. Jahrhunderts endet in einem atemberaubenden Rausch der Sinne, der sämtliche Konventionen des Genres pulverisiert. Der mittellose Schriftsteller Christian (Ewen McGregor), gerade erst in Paris angekommen, verliebt sich auf den ersten Blick in Satine (Nicole Kidman), den Star des Moulin Rouge - jenen legendären Nachtklub der frivolen Unterwelt. Doch die Kurtisane hat zunächst andere Ziele. Im Auftrag ihres Impresarios, dem Moulin-Rouge-Besitzer Zidler (Jim Broadbent), soll sie den schmierigen Duke of Worchester (Richard Roxburgh) verführen, um ihn als Geldgeber für eine Theaterinszenierung zu gewinnen. Der Duke beißt an, aber durch Zufall wird Christian als Autor verpflichtet - und seine Freunde um den kleinwüchsigen Künstler Toulouse-Lautrec (John Leguizamo) sind ebenfalls beteiligt. Als Satine Christians Liebe erwidert, gerät das Projekt, dessen Handlung ein Abbild der realen Ereignisse ist, in Gefahr. Denn der Duke ist rasend eifersüchtig und will Satine mit niemand teilen... Mit „Moulin Rouge“ schließt Regisseur Baz Luhrmann („Strictly Ballroom“, „William Shakespeare’s Romeo + Julia“) seine sogenannte Red-Courtain-Triologie ab. Das Prinzip: Etablierte Handlungsmotive deren Ausgang vorher bekannt sind, werden durch unkonventionelle Montage von Bild, Ton und Design völlig neu zusammengesetzt und es ergibt sich eine veränderte Sichtweise. Die Zuschauer sollen stets wissen, dass sie einen Film sehen. „Wir wollen das Publikum wach halten, aber es darf sich nie in der Wirklichkeit wähnen“, erklärt Luhrmann. Der Australier geht ein hohes künstlerisches Risiko ein. In seinem Musical über die Maxime der Boheme - Wahrheit, Schönheit, Freiheit und Liebe - das sich zu einer Variante vom Mythos des Orpheus in der Unterwelt verdichtet, nähert sich Luhrmann dem Stoff nicht klassisch, sondern kreuzt die alte Geschichte mit moderner Popkultur. Wenn seine romantischen Helden durch die bombastisch-kitschigen Kulissen wandeln, drücken sie ihre stärksten Emotionen wie selbstverständlich singend aus. Doch anstatt sich an die Vorgaben der Zeitepoche zu halten, in der „Moulin Rouge“ spielt, schmettern die Figuren grandios-gewagte Neuinterpretationen von Rock- und Popklassikern von David Bowie, Queen, Madonna oder The Beatles - ein herrlicher Anachronismus. Man mag zu der Musik von Elton John stehen wie man will, aber wenn Ewen McGregor, der sich als wahres Gesangstalent herausstellt, „Your Song“ als herzerwärmendes Liebesgeständnis an Satine anstimmt, hat das einfach Größe. Nicht nur der vielseitige Schotte, der mit „Trainspotting“ seinen Durchbruch feierte und in „Star Wars: Epiosode I“ hoffnungslos unterfordert war, bekommt Gelegenheit zu einer Galavorstellung. Auch Nicole Kidman, die ihre letzte große Herausforderung in Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ verpatzte, war noch nie besser zu sehen. Gesanglich nicht minder talentiert, glänzt die Australierin als betörende Kurtisane mir der Austrahlung einer großen Diva der 40er Jahre. „Moulin Rouge“ vermittelt das permanente Gefühl, vor visuellem Einfallsreichtum, vor Emotionen fast zu zerbersten. Die rastlose Kamera von Donald M. McAlpine steht nie still, peitscht die Geschichte voran. Luhrmann treibt sein audiovisuelles Feuerwerk bis zum Overkill, wird dabei von seiner großartigen Crew aber nicht im Stich gelassen. Eine weitere bestechende Qualität des Films, der spielend die Balance zwischen überdrehter Komödie und epischem Drama hält, zeigt sich im grandiosen Finale, wenn Jacek Koman im Stil eines Tom Waits eine phantastische Version des Police-Klassikers „Roxanne“ brüllt. Der Schnitt der Sequenz, zunächst zwischen zwei Handlungsorten springend, ist schlichtweg sensationell. Letzteres gilt auch für das Gesamtwerk „Moulin Rouge“. Luhrmann zelebriert seinen Film als Vollrausch der Sinne. Und er triumphiert damit auf ganzer Sinne.
USA/Australien 2001 |
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Diese Kritik ist die Meinung von Carsten Baumgardt.