Gefilmt Wieder einmal sitze ich im Kino und frage mich, warum ich mir das antun musste. Der Frust kämpft einen letzten Kampf gegen den Rest von selbstquälerischer Neugier darauf, wie schlecht nun auch noch der Schluss wird. Dann habe ich endgültig die Nase voll und stürze unter verbissenen Flüchen raus. Ich fühle mich wieder mal - gefilmt. Was ich denn erwartet hätte, fragt man mich später zynisch, aber ich nehme die Frage ernst. »Annäherung«, antworte ich, »einen Film, der sich dem Buch auf seine Weise, mit seinen Mitteln annähert«. Aber darum gehe es doch gar nicht, kommt die Retourkutsche, wenn der Film eine Annäherung suche, dann nicht an das Buch, sondern an den Zuschauer. »Dann eben eine Übersetzung«, lasse ich nicht locker. »Eine Übersetzung aus der Buchsprache herüber in die Filmsprache«. Mein Gegenüber denkt einen Moment lang nach und fragt, ob es denn nicht genug Tracking und Panning und Zooming gegeben habe. Ich zögere, so dass mein Gegenüber Oberwasser kriegt und gleich noch eins draufsetzt. Wie ich wisse, habe es ja nicht mal das berühmte Voice-Over gegeben, den Trick mit der Erzählerstimme, die das Buch durch die Hintertür einschmuggelt. Was ich eigentlich noch wolle, da hätte ich sie doch, meine Übersetzung in die Filmsprache. Ich bin beeindruckt und will aufgeben. Aber trotzig setze ich noch nach: »Einen guten deutschen Film will ich, auf der Höhe eines guten deutschen Buchs.« Denn gut ist es, Sven Regeners Buch »Herr Lehmann«. Will heißen, der Roman. Hier hat, meine ich, ein Autor nicht nur ein Thema gefunden, sondern etwas viel Wichtigeres, den dazu passenden Ton. Vom ersten schnatternden Satz an lässt er kein stilistisches Fettnäpfchen aus, wälzt sich unbekümmert in Sprachklischees und signalisiert dem literarischen Snob frech, dass es von nun an bis zum letzten Satz so weitergehen wird, im Kopf und an der Seite eines Flaneurs mit Charme und mit Selbstironie, aber ohne Tiefgang und ohne Durchblick. Und diesem anspruchslosen Geschnatter, dieser Un-Sprache aus Würzwörtern und Redensarten und Wiederholungen entspricht eine sich von selbst entwickelnde Un-Handlung. Wir stolpern mit in einen Reigen herrlich komischer Szenen mit herrlich tragischen Knallköppen und irgendwann stehen wir wieder auf einer herrlich langweiligen Kreuzberger Straße und fragen uns, was eigentlich passiert ist. Was passiert ist? Wir haben gerade ein herrliches Buch gelesen, eine komisch-tragische, kurzweilig-langweilige Geschichte, in der alles zusammenpasst, das Thema und der Ton, die Handlung und die Sprache, die Figuren und ihr Stil. Was lag näher, als einen herrlichen Film daraus zu machen, der das Buch »kongenial ... in Bilder umsetzte«, wie der SPIEGEL schwärmt. Aber kongenial bedeutet geistig ebenbürtig und das ist ein Lob, das ich dem Film im Vergleich mit dem Roman ganz bestimmt nicht erteilen würde,. Denn im Film wurde ein Thema, nicht aber der Ton getroffen, hier wurde eine Handlung ohne die dazu passende Sprache verfilmt, hier treten Figuren ohne Charakter auf, ohne Eigenleben, ohne glaubwürdigen Ausdruck. Daraus schließe ich, dass der Regisseur entweder das Buch nicht verstanden hat (obwohl Regeners Name im Vorspann unter Buch auftaucht)oder sein eigenes Handwerk nicht versteht. Der Verdacht, dass eher Letzteres der Fall ist, liegt nahe. Eine These, die ich begründen will. Zunächst mal: Wenn ein Fußballverein nicht genug fähige Spieler hat, weil er sie nicht bezahlen kann, dann tun die Verantwortlichen das Nächstliegende, sie holen sich Spieler aus dem Nachwuchs und trainieren so lange mit ihnen, bis sie einigermaßen mitspielen können. Der Film-Verein »Herr Lehmann« und sein Regisseur-Trainer Leander Haußmann lösen das Problem »kongenial«, holen sich ein paar Kids vom Bolzplatz nebenan und lassen sie ohne Training mitspielen. Denn das kommende Spiel ist eh schon so gut wie verloren und außerdem hat irgendein Leo die Kohle für den Spielbetrieb eh schon rausgerückt. Nach diesem Muster wurde, so müssen wir es uns wenigstens vorstellen, beim Casting für »Herr Lehmann« verfahren. Einen Charakterkopf für die Hauptfigur hatte man eh nicht und kriegte man eh nicht rein und die Euros von Becks und von Sat1 und von der Filmförderung hatte man wohl eh schon im Kasten. Also was soll’s, Freunde, sagte man sich, lasst uns loslegen. Zweitens: In dem Land, gar in der Stadt, wo Bertolt Brecht wirkte, ist die Illusion immer noch verpönt und die Verfremdung nach wie vor angesagt, besonders wenn die Verfremdung billiger kommt und wenn sie weniger Mühe und weniger Können verlangt. Eine Kneipe ist eine Kneipe, wozu soll man da groß was an Design verschwenden oder an Beleuchtung oder an Kameraeinstellungen? Was? Kamera? Hier steht der Tresen, dahinter der Ulmen, davor die übrigen Statisten und jetzt lassen wir das mal laufen und jeder sagt seinen Spruch auf. Vielleicht holen wir sogar noch eine zweite Kamera dazu, man weiß ja nie. Was? Noch ein Take? Aber das war doch super, Mann, wie du das Bier so echt authentisch rübergeschoben hast. Was? Das Gewitter? Aber das weiß doch eh jeder, der mal irgendein »Making of« gesehen hat, dass der Regen aus der Regenmaschine kommt. Schließlich: In jedem Teamwork bietet sich irgendwann die letzte Chance individuell zu retten, was das Team verbockt hat. Beim Filmemachen steckt so eine Chance im Editing. Da lassen sich angelegte Verbindungslinien weiterziehen, Um-zu-Beziehungen durch Verfolgung von Motiven herstellen, Szenen und Sequenzen so gewichten, dass der ganze Film vielleicht doch noch eine Richtung kriegt, eine Atmosphäre, einen Sinn. Aber im Gegenteil, statt solche Bindungen einzubauen und auszubauen, wurden die wenigen im ersten Akt angelegten Verbindungslinien sogar noch gekappt. Zum Beispiel die absurd-komischen Inserts (die Köchin als Braut, die beiden Freunde als Jedi-Ritter), die so was wie eine Übersetzung der absurd-komischen inneren Handlung des Romans in die äußere des Films hätten sein können, sie tauchen im zweiten Akt und auch später gar nicht mehr auf. Schlimmer noch, der dritte Akt macht aus einer mit absurder Komik eingeführten Figur, nämlich aus Franks »bestem Freund« Karl, plötzlich und unerwartet ein medizinisch-soziologisches Phänomen. Eine Wendung, die das Buch kein bisschen nahe legt, denn dort bleibt Karl der traurige Clown, der er von Beginn an war, und die wahnhaft-komisch misslingende Verständigung des Ausgeflippten mit Frank ist nur die Fortsetzung der Sprachlosigkeit, die immer schon zwischen den beiden, dem heiter-tristen Künstler und dem charmant schnatternden Flaneur, geherrscht hat. Man ist versucht, solche Flops einem Einzelnen oder einem einzelnen Team anzulasten, die seien dieser Aufgabe eben nicht gewachsen gewesen. Aber ich sehe hier das Versagen eines ganzen Systems. Nicht nur der Trainer Haußmann, sondern die ganze deutsche Filmliga bewegt sich, wie ich mehr und mehr vermute, auf Provinzlerniveau. Und zwar, um das Allerweltsargument gleich mal wegzuräumen, nicht wegen fehlender Knete, sondern wegen fehlender Einfälle. Denn: Wie lange noch lassen wir unsere zahnlosen Kulturlöwen und Glanzpapiertiger in den Dezernaten und Rundfunkräten rumsitzen und sich vor Ehrfurcht in die Hosen machen, wenn das nächste »Faust II«-Festival eine Saison lang, mit unseren Steuergeldern subventioniert, über die Bühne geht? Wäre denn da, stattdessen, nicht was mehr im Topf für den deutschen Film? Wann endlich mal trauen sich unsere Schiller-Epigonen und Möchtegern-Becketts an die ach so triviale Front der Cinemathographie? Denn da geht es nicht nur um billige Unterhaltung, da lässt es sich auch anspruchsvoll belehren, wenn einem daran gelegen sein sollte. Geht so was denn nur in London oder in Los Angeles? Warum finden unsere blinden Casting-Hühner immer und ewig nur eine Type wie Till Schweiger in den Mappen der Agenturen? Oder warum gehen sie dann gleich ins andere Extrem wie im vorliegenden Fall und angeln sich einen Quereinsteiger, einen haspelnden und hilflos grimassierenden TV-Moderator? Warum lassen wir all die andern Talente in den Theatern, all die wirklich guten Regisseure, Schauspieler, Bühnen- und Maskenbildner, ob jung, ob alt, ob in den Städten oder in der Provinz, warum lassen wir sie versauern ohne ihnen mehr Erfahrungen an einem Filmset zu ermöglichen? Liegt es an ihnen, an ihrem Selbstbild, an ihrer Ausbildung? Oder nicht vielmehr an den Strukturen, am Theaterbetrieb, am Filmbusiness? Es geht mir hier nicht nur darum, mit faulen Tomaten nach Leander Haußmann zu werfen (Obwohl das, zugegeben, auch Spaß macht und Not tut). Es geht mir darum, euch, diesem ganzen Haufen selbstzufriedener deutscher Filmbiedermänner mal eine Fuhre Mist vor die Tür zu laden. Warum sollten wir uns mit eurem Fastfood zufrieden geben, wenn nebenan für den gleichen Preis ein anständiges Drei-Gänge-Menü angeboten wird? Lasst mal einen anderen Koch ran und andere Kellner! Und ihr geht am besten noch mal auf die Schule und macht Fortbildungskurse. Von euch werde ich mir so bald nichts mehr vorsetzen lassen, denn ihr habt mich jetzt lange genug - gefilmt. |
Diese Kritik ist die Meinung von Heinz Rogel.