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Kritik von Jürgen Dick (17.02.2007)

Der Film schildert die Geschichte zweier auseinanderfallender Familien der siebziger Jahre; die Geschichte basiert auf dem autobiographischen Buch "Running with Scissors" von Augusten Burroughs. Das ist auch der Originaltitel des Films - die Übertragung des Titels in "Krass" folgt wieder einmal jener Versuchung zu einer Eindeutschung, die wohl auf möglichst breitgefächerte Publikumswirkung zielt. Beim Blick auf das Plakat weiss dann allerdings niemand mehr, was mit dem Kauf der Kinokarte zu erwarten ist. Wer sich also alleine durch den Titel "Krass" angezogen fühlte, dürfte den Film mit allerhand Fragezeichen überm Kopf verlassen haben, wenn er nicht sogar vorzeitig aus dem Kinosessel geflüchtet ist.

Autor Burroughs ist im Film als heranwachsender Augusten (gespielt von Joseph Cross) präsent, der von seiner manisch-depressiven Mutter Deirdre (Annette Bening) in die Obhut ihres Psychotherapeuten Dr. Finch und dessen chaotischer Familie übergeben wird.

Hatte schon das permanente, bis zur Gewalttätigkeit ausufernde Ehekrach-Milieu seiner Herkunftsfamilie dem Jungen arg zugesetzt, so wird Augusten nun in das psychologisierende Klima seiner neuen Pflegefamilie hineingeworfen. In dieser Familie haben alle ihre Gefühle und inneren Beweggründe zu jeder Tages- und Nachtzeit vollständig preiszugeben, und alle werden von allen, insbesondere aber vom alles beherrschenden Familienvater, permanent vulgärpsychologisch analysiert.

In dieser Familie mit dem Charakter einer Gurusekte herrscht eine Atmosphäre permanenten Verdachts und moralistischen Zwangs zur Selbstkritik; die Beziehung der Personen zueinander stellt im Grunde einen fortgesetzten psychologisierenden Missbrauch eines jeden durch jeden dar. "Running with Scissors" - also irgendwann mit offener Schere drauflosgehen - wird letztlich wohl der, dem es nicht gelingt, sich gegen diese Zumutungen einer laufenden, manipulativen Infragestellung seines Seelenlebens zu schützen.

Die Frage, inwieweit insbesondere ein Kind unter solchen Bedingungen seine Identität zu entwickeln bzw. diese gegen aggressiv psychologisierende Zumutungen zu schützen vermag, ist wohl zu anspruchsvoll für eine Komödie, die der Film letztlich darstellen soll. Und so verbleibt die Geschichte letztlich nur bei der bloßen Aneinanderreihung der so zahlreichen, schockierend absurden Familienszenen. In dieser Hinsicht folgt der Film seiner literarischen Vorlage, und über die dort bisweilen humorige Schilderung der im wahren Sinn des Wortes kaputten Familienverhältnisse sollen ja übrigens auch viele Leser gelacht haben, als das Buch erschienen ist. Diejenigen Kinder, die solchen Familienverhältnissen im aktuellen Fall ausgeliefert sind, empfinden es allerdings anders, jedenfalls alles andere als zum Lachen, und ebendarum wird dem Zuschauer dieser Film nicht recht plausibel.

Die stärksten schauspielerischen Leistungen liefern Annette Bening in ihrem Wechselspiel zwischen Depression und größenwahnhafter Anmaßung, und mit ihr Alec Baldwin in seiner starken, wenn auch begrenzten Nebenrolle als Augusten-Vater Norman. Brian Cox als Pflegevater und irrer Psychologe Dr. Finch hingegen wird dem Zuschauer in seinem ganzen Wesen nicht plausibel - milde beurteilt, wäre die Umsetzung dieser Figur als "hintergründig" zu bezeichnen, sie hinterlässt jedenfalls in der vorgestellten Form einfach keinen bleibenden Eindruck.

Man kann sich zwar, bei Kenntnis um die in den 60ern und 70ern grassierende Sexuelle-Revolution-Euphorie, den Reim machen, dass mit diesem Film eine Kultur satirisch aufs Korn genommen werden sollte, in der auch noch das Banalste psychologisiert wird. Herausgekommen ist aber letztlich eine misslungene Groteske, in der auf Effekt gesetzt wird, wo Ironie wohlgetan hätte.

EMPFEHLUNG: Man muss sich bewusst machen, dass der Film vor einem autobiographischen Hintergrund funktioniert, dann hält man ihn aus und kann ihm sogar ein paar interessante Einblicke abgewinnen.

Diese Kritik ist die Meinung von Jürgen Dick.
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