Dem sagenhaften König Artus kommt in Großbritannien eine ähnliche Bedeutung zu wie in Deutschland dem Kaiser Barbarossa: Eine im Glorienschein der Legende verklärte Lichtgestalt, Symbolfigur für eine mythische bessere Welt und ein vergangenes, goldenes Zeitalter aus Frieden und Gerechtigkeit vor dem Hintergrund des düsteren Zeitalters der Sachsenkriege. Wie Barbarossa, der der Legende nach nicht etwa auf dem Weg zum dritten Kreuzzuge beim Bade im Fluß Saleph starb, sondern hoch zu Roß im Berg Kyffhäuser schläft, so wurde sein britisch-keltisches Alter Ego Artus auf die Zauber-Insel Avalon entrückt, um einstmals von dort wieder zurückzukehren und sein Volk zu verteidigen. Im Gegensatz zum historisch einwandfrei authentischen Staufferkaiser ist die Existenz eines Königs Artus bis heute wissenschaftlich nicht belegt. Was seinem Nimbus jedoch keinen Abbruch tut: Nach aktuellen Umfragen hält jeder zehnte Brite Hitler und Churchill für Sagengestalten, weit über 50 Prozent dagegen sind von einem Artus aus Fleisch und Blut überzeugt. Für die Literatur war die Artussage stets ein nie versiegender Quell der Ideen, angefangen von Wolfram von Eschenbachs "Parzival" bis zum klebrig-schwülstigen Frauenversteher-Roman "Die Nebel von Avalon" der amerikanischen Fantasy-Autorin Marion Zimmer Bradley. Auch Hollywood zehrte lange an dem Nektar, den die Kraft der Sagengestalt bot, was von klassischen Kostümspektakeln à la Richard Thorpes "Die Ritter der Tafelrunde" über die Monty-Python-Persiflage "Die Ritter der Kokosnuß" bis zum Disney-Zeichentrick "Die Hexe und der Zauberer" reichte. Nachdem John Boorman 1981 mit "Excalibur" ein für alle mal gezeigt hatte, wie man König Artus zu verfilmen hat, versuchte sich anschließend nur noch Jerry Zucker in der reichlich peinlichen Ritter-Schmonzette "First Knight" von 1995 an dem Stoff. Allen diesen Filmen war gemein, daß sie die Figur Artus so wie auch die zahlreichen literarischen Adaptionen im Kontext des Hochmittelalters darboten, also umgeben von mutigen Rittern, edlen Damen, Minne und Turnieren, ergo vor dem Hintergrund des Zeitalters, in dem Geoffrey von Monmouth seine "Historia Regnum Britanniae" verfaßte, in der der Sagenkönig ausführlich Erwähnung fand. Mit dem historischen Artus dürfte diese Ära allerdings nicht das Allergeringste gemein haben. Der lebte nämlich, falls es ihn überhaupt gab, Ende des fünften und Anfang des sechsten Jahrhunderts nach Christus und nahm (vermutlich) eine führende Rolle ein im Abwehrkampf der keltischen Briten gegen die Angelsachsen, die seit dem dritten Jahrhundert die britischen Küsten überfielen und seit 455 entlang der Südküste siedelten. Zwar nicht wissenschaftlich verbürgt, aber durchaus wahrscheinlich sind ihm einige erfolgreiche Schlachten gegen die Sachsen zuzuordnen, die deren Vormarsch nach 500 für beinahe 70 Jahre zum Stillstand brachte. Auf diesen historischen Kern der Artus-Sage berufen sich nun Jerry Bruckheimer und Antoine Fuqua: Runter vom efeu- und lorbeerumkränzten Sagen-Sockel und rein ins Kampfgetümmel, lautet das Credo des Blockbuster-Produzenten und des Action-Regisseurs, der nach "Training Day" einen Oscar für seinen Hauptdarsteller Denzel Washington verbuchen konnte. Befreit vom Legendenballast, von Minnegesang, Turniergeklapper und mythischem Brimborium um Merlin, Morgana, Mordred und das magische Schwert Excalibur sollte der entmystifizierte Keltenkönig in "King Arthur" als möglichst physische Kriegergestalt gegen die barbarischen Sachsen zu Felde reiten. Ein anspruchsvolles Unterfangen, welches sich nur dummerweise kaum mit dem quietschbunten Baukastensystem einer Bruckheimer'schen Popcorn-Blockbusters verträgt. Daß dieses - in Verbindung mit einem guten Regisseur, einiger talentierter Darsteller und ein paar unterhaltsamer Drehbucheinfälle - durchaus zu funktionieren vermag, bewies im vergangenen Jahr das prächtige Piratenspektakel "Fluch der Karibik", aber auch furchtbar nach hinten losgehen kann, wie man im Falle der Michael-Bay'schen Kollossal-Blamage "Bad Boys 2" erleiden mußte. "King Arthur" versucht den Spagat, ein naturalistisches Historienspektakel im Stil von Mel Gibsons "Braveheart" mit dem familien- und massenkompatiblen Mainstream-Entertainment von "Fluch der Karibik" in Einklang zu bringen und scheitert auf hohem Niveau - dies vor allem aber auf Grund der Schnitte, die die geldgebenden Studiobosse des Hauses Disney aus Freigabegründen bei Fuqua durchsetzten und die den Kampfszenen einen Großteil ihrer für die Authentizität zwingend notwendigen Blutrünstigkeit beraubten. Wirklich historisch ist an "King Arthur" indes überhaupt nichts. Zwar ist es sinnlos, in einem ohnehin allein auf das Moment der Action ausgelegten Abenteuer-Movie mit der Lupe nach der Stringenz und der Stimmigkeit historischer Details zu suchen, da jedoch "King Arthur" gerade diese vermeintliche Authentizität im Marketing wie eine Monstranz vor sich herträgt, wirken alle diese Fehler und Logiklöcher umso skurriler und augenfälliger. Drehbuchautor David Franzoni macht aus dem mythischen König von Camelot den römischen Kommandanten eines Elitetrupps gepanzerter sarmatischer Reiter. Ganz aus der Luft gegriffen ist das nicht: Tatsächlich war seit Beginn des vierten Jahrhunderts schwere sarmatische Kavallerie in Britannien zum Schutz gegen die Einfälle von Pikten und Sachsen stationiert. Rund 5500 dieser kampfstarken vorderasiatischen Reiterkrieger hatte das schwankende römische Weltreich als Söldner auf die unruhige Insel geschickt. Ob es hingegen einen Anführer namens Lucius Artorius Castus gab und ob der dann auch noch den Ursprung für die Legenden um den sagenhaften König Artus bildete, sei einmal der Spekulation überlassen, doch tatsächlich geistert die Sarmaten-Connection als neue Deutung der Artus-Legende seit geraumer Zeit durch die Historiker-Kreise, und zugegeben: Sie ist wirklich sexy! Dafür erlauben sich Franzoni und Fuqua an anderer Stelle wiederum Freiheiten von geradezu bizarrer Unlogik: So reiten der Film-Artus und seine Sarmaten, eine Art antiker Delta-Force-Einheit für Kommando-Unternehmen in feindlich besetztem Gebiet, um 450 über britische Wiesen. Tatsächlich zogen die letzten römischen Besatzer aber bereits 410 ganz offiziell auf Geheiß des weströmischen Kaisers Honorius von der Insel ab. Um 450 hingegen versank das weströmische Reich bereits, durch germanische Vorstöße der Völkerwanderung tödlich verwundet, nach dem Mord an dem Heermeister Aetius (454 nach Christus), dem "letzten wahren Römer", endgültig im Chaos. Als grimmige Kontrahenten werden dem Film-Artus der Sachsenherzog Cerdic und sein Sohn Cynric entgegengestellt - die beiden betraten jedoch nachgewiesenermaßen erst 495 britischen Boden, und Cerdic starb sogar erst 534. Wirklich herrlich komisch ist, daß mehrfach im Film im Zusammenhang mit dem Papst der Vatikan erwähnt wird - der wurde jedoch erst im 9. Jahrhundert erbaut, und die Päpste residieren dort sogar erst seit Papst Gregor XI. im 14. Jahrhundert. Doch was juckt's - schließlich sucht man in einem Bruckheimer-Films weniger nach einem historischen Seminar denn mehr nach Schauwerten - und die bietet das neueste Werk aus den Laboratorien des Doktor Bruckenstein fürwahr. Hauptdarsteller Clive Owen macht seine Sache als zaudernder, von Selbstzweifeln geplagter und 1340 Jahre vor der französischen Revolution über Liberté, Egalité und Fraternité philosophierender Edelrömer mehr als nur ordentlich, Ioan Gruffudd legt seinen doppelschwertschwingenden Elite-Killer Lancelot als Teenie-Schwarm par excellance an, und damit auch Männerherzen höher schlagen, gibt es das "Bend it like Beckham"-Beauty Keira Kneightley als blau angemalte und extrem knapp geschürzte Urwald-Amazone, die mit ihren Pikten einen Guerilla-Krieg gegen Sachsen und römische Besatzer führt. Zauberer Merlin (Stephen Dillane), bei Boorman noch die zentrale mystische Figur, bleibt als brummig brummelnder Antik-Che-Guevara ebenso farb- und gesichtslos wie die übrigen Römer, Briten und Pikten. Die Ritter der Tafelrunde heißen zwar immer noch Tristan, Galahad und Gawain, haben aber von ritterlicher Minne keine Ahnung und von der Gralssuche erst recht nicht, benehmen sich dafür allerdings bereits recht britisch, insbesondere der Gruppen-Proll Bors (Ray Winstone), den man sich statt mit einer Streitaxt auch mit einem Eimer Sangria auf Mallorca vorstellen könnte. Der Plot des Films umspannt nur einen kurzen Zeitraum vom Abmarsch des Sarmaten-Kommandos vom Hadrianswall auf eine letzte Mission zur Rettung einer römischen Familie, die Artus und seine Mannen direkt zur Schlacht am Mount Baddon führt (die von Historikern zeitlich etwa auf die Jahrhundertwende 500 nach Christus datiert wird). Den Sachsen kommt dabei die Rolle der Indianer des Westerns als gesichtslose, anonyme Gegner zu, als Vertreter einer wilden, archaischen und urwüchsigen Bedrohung, deren Übermacht allein durch das strategische Geschick und das technische Wissen des römische gebildeten Artus zu begegnen ist. Stellan Skarsgard bietet als Sachsen-Herzog Cedric mit gelangweilter Marlon-Brando-Attitüde und genuschelten Dialogfetzen einen höchst veritablen Bösewicht. Wirklich leid tun kann einem Til Schweiger: Als Cedric-Junior Cynric spielt der Deutsche in tragischer Weise die Rolle seines Lebens: Cynric versagt sowohl als Sohn als auch militärischer Führer der Sachsen im Kampf, wird von seinem Vater ebenso abgelehnt wie von seinen eigenen Leuten und stolpert in der finalen Schlacht am Mount Baddon mitleiderregend orientierungslos durch das blutige Getümmel, als wolle noch nicht einmal jemand mit ihm kämpfen. Nicht nur mit den martialisch bemalten Pikten und ihrem Vietcong-Kampfstil nimmt "King Arthur" deutliche Anleihen beim Western und beim klassischen japanischen Samurai-Film: Artus und seine Getreuen sind nichts anderes als ein antikes Abbild der "Glorreichen Sieben", der der geknechteten britischen Zivilbevölkerung gegen die finsteren sächsischen Invasoren zu Hilfe eilen, und der Einsatz von und Pfeilen und Langbögen (die die Briten bekanntermaßen ja erst 900 Jahre später im Hundertjährigen Krieg gegen die Franzosen als Kriegswaffe einsetzten, aber wen interessiert das schon) bei der von Slawomir Idziak grandios bebilderten Schlacht auf dem Eis eines zugefrorenen Sees läßt sicherlich nicht ganz zufällig Erinnerungen an den Pfeilregen aus Yang Zhimous "Hero" und ähnlichen Vorbildern des Schwertkämpferfilms aufkommen. Doch auch das Vergnügen der Schlachtszenen, deren finaler Höhepunkt sich deutlich an Gibsons "Brave Heart" und an Emmerichs "Patriot" orientiert, ist nicht ungetrübt, leiden sie doch in Folge der von Disney durchgesetzten Schnitte am Gladiator-Syndrom und wirken trotz fulminanten Gemetzels und hohen Bodycounts allzu anämisch. Bruckheimers "King Arthur", das ist ungefähr so viel historische und literarische Authentizität wie Wolfgang Petersens "Troja": Wo man die zehnjährige Belagerung einer Stadt mal eben auf zwei Wochen verkürzt und so viele Personen und Handlungsstränge entweder dazuerfindet oder herausschreibt, daß es Gustav Schwab wie die Achse eines hellenischen Streitwagens im Grabe rotieren lassen müßte, da darf man auch die Artus-Legende auf ein paar plakative Versatzstücke eindampfen. Camelot? Wozu das. Tafelrunde? Einmal kurz im Bild, das reicht. Excalibur? Irgendwann wird irgendwo ein Schwert aus der Erde gezogen, das war's. Und das legendäre Techtelmechtel zwischen Lancelot und Guinevere? Für den berühmtesten Ehebruch der mittelalterlichen Sagenwelt müssen hier ein paar sehnsuchtsvolle Blicke reichen, alles andere wäre für ein Popcorn-Movie wohl zu kompliziert. So bleibt denn von einem prächtig inszenierten und ausstaffierten, allerdings auch völlig unhistorischen Historienspektakel nicht viel wirklich Tiefschürfendes in Erinnerung haften. Doch der Film-Artus und seine Zelluloid-Ritter können sich trösten, schließlich erging es ihren realen historischen Vorbildern kaum anders: Bekanntermaßen war den Siegen des echten Artus keine Dauer beschieden, und spätestens nach der Schlacht bei Bedcanford 571 nach Christus konnten die Sachsen ihre Eroberung der britischen Insel fortsetzen. Dem wirklichen Artus hätte es sicherlich Genugtuung verschafft, erleben zu können, daß rund 500 Jahre später den Sachsen durch die Normannen und einen gewissen William das gleiche Schicksal blühen sollte wie zu seiner Zeit den keltischen Briten - vielleicht dreht Jerry Bruckheimer ja als nächstes einen Film über die Schlacht von Hastings. |
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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.