Für seine erste internationale Produktion verfilmte Deutschlands größte Regie-Hoffnung Tom Tykwer erstmals ein Fremddrehbuch. Dass es ausgerechnet aus dem Nachlass des 1996 verstorbenen Krzysztof Kieslowski stammt, ist zwar laut Tykwer nur ein Zufall, doch von dem Einfluss des Polen konnte und wollte sich der Wuppertaler Filmemacher nicht entziehen. Sein Liebes-Drama „Heaven“ paart Tykwers Vorzüge mit der Symbolik des Ausnahme-Regisseurs und erreicht internationales Format. Ihre Liebe ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, doch verhindern lässt sie sich nicht. Dutzende von Briefen hat die Englischlehrerin Philippa (Cate Blanchett) geschrieben, zahllose Telefonate geführt, aber die korrupte italienische Polizei stellt auf stur. Niemand glaubt der Engländerin, dass der einflussreiche Konzernchef Vendice (Stefano Santospago) den Turiner Drogenhandel kontrolliert und so nicht nur das Leben einiger ihrer Schüler ruiniert hat, sondern auch für den Drogentod ihres Mannes verantwortlich ist. Die völlig verzweifelte Philippa nimmt das Schicksal selbst in die Hand und legt in Vendices Büro eine Bombe. Doch statt den Jugendfreund ihres Mannes zu töten, kommen durch einen unglücklichen Zufall vier unschuldige Menschen ums Leben. Philippa stellt sich, will sich der Verantwortung nicht entziehen. Als sie beim Verhör zusammenbricht, ist der junge Carabinieri Filippo (Giovanni Ribisi) als Erster zur Stelle. Er hält ihre Hand und weiß im selben Augenblick, dass beide füreinander bestimmt sind. Er glaubt Philippa und will ihr helfen, ihr ursprüngliches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Zunächst war „Heaven“ von Krzysztof Kieslowski, der mit der „Drei Farben“-Trilogie seinen kreativen Höhepunkt feierte, als erster Teil einer neuen Trilogie („Heaven, Hell And Purgatory“) geplant. Tykwers internationales Debüt, eine amerikanisch-deutsch-französische Co-Produktion in Italien gedreht, bedeutet für den innovativen Filmemacher Neuland. Zwar konzentriert „Heaven“ Tykwers zentrale Themen wie die Macht des Schicksals und den bedingungslosen Glauben an die Liebe, aber erstmals geht der Regisseur vollkommen gradlinig, zielbewusst und ohne Schnörkel zu Werke. Wunderbar verbindet sich Tykwers gewohnt brillante Optik, die auch schon „Winterschläfer“, „Lola rennt“ und „Der Krieger und die Kaiserin“ auszeichneten, mit Kieslowskis Symbolik, die zuweilen religiöse Züge annimmt. Mit starken Bildkompositionen, phantastisch eingefangen von Kameramann Frank Griebe, packt „Heaven“ den Zuschauer. In einer Einstellung zu Beginn schwebt die Kamera in der Vogelperspektive über die Stadt, zeigt die Menschen in einem Labyrinth aus Stein und Stahl. Sie sind Gefangene. Gefangen in ihren tristen Häuserkomplexen, gefangen in ihrer Seele, ihrem Geist. Der Ausweg, die Befreiung ist der unerschütterliche Glaube an die Liebe - auch, oder gerade wenn es noch so aussichtslos ist. Philippa und Filippo gehen diesen Weg, auch wenn sie genau wissen, wo er enden wird. Das ist sicherlich schwere Kost, die Tykwer mit dem Eröffnungsfilm der Berlinale auftischt. Zumal 70 Prozent des Films nur italienisch (untertitelt) gesprochen wird. Multiplex-Besucher, die etwas Hippes im Stil von „Lola rennt“ erwarten, werden bitter enttäuscht sein, denn „Heaven“ ist nahezu reines Programmkino. Wer sich aber auf den kompromisslosen Trip einlässt, wird belohnt. Cate Blanchett („Herr der Ringe“, „Banditen“) und Giovanni Ribisi („Der Soldat James Ryan“, „Risiko“) sind ideal besetzt und glänzen mit exakt ausbalancierten Performances. Den großen staunenden Augen Ribisis nimmt man sein unkonventionelles Verhalten jederzeit ab. Die Australierin Blanchett fügt mit der Darstellung der Philippa ihrem chamäleonhaften Talent, in jeder Rolle völlig anders auszusehen und grundverschiedene Charaktere zu spielen, eine weitere Nuance hinzu. Zu bemängeln ist allerdings das letzte Filmdrittel. Zwar muss das schnöde grau der Stadt endgültig den betörenden Farben der Toskana weichen, aber die Geschichte entwickelt sich nicht mehr großartig weiter. Es läuft einfach alles zu glatt, die zu überwindenden Hindernisse werden immer weniger. Dadurch entsteht manchmal der Eindruck von Sterilität, die großen Emotionen bleiben aus - bis zum finale grande. Das werden sicherlich manche als unrealistisch abtun. Aber im Grunde ist es nur konsequent.
Titel: Heaven |
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Diese Kritik ist die Meinung von Carsten Baumgardt.