"Not for the first time, an argument had broken out over breakfast at number four, privet drive." Im Gegensatz zum ersten Harry-Potter-Roman, der ebenfalls im Privet Drive beginnt, ist für den Leser bei "Harry Potter and the chamber of secrets" beinahe schon so etwas wie Routine eingekehrt. "Not for the first time..." - es bedarf eben nicht mehr besonders viel Erklärungen, warum zum Einstieg von Joanne K. Rowlings zweitem Buch über den berühmtesten und kommerziell erfolgreichsten Zauberlehrling der Welt ein so heftiger Streit zwischen Harry und seinem Onkel und Erziehungsberechtigen Vernon ausbricht. Die Exposition der Figuren und Verhältnisse geschah bereits in Band eins, die entscheidenden Parteien im magischen Spiel der Mächte wurden bereits während der Ereignisse um den "Philosopher's Stone" (im Filmtitel: "Sorcerer's Stone") in Stellung gebracht. Daher kann die Handlung sehr viel schneller Fahrt aufnehmen und Harry Potter zum zweiten Duell gegen die Mächte des Bösen um das Wohl und Wehe der Magieschule Hogwarts und der gesamten Zauberwelt führen. Nach exakt diesem Muster verfährt auch die Verfilmung. Wiederum haben sich Regisseur Chris Columbus und sein Team beinahe sklavisch an die Romanvorlage gehalten und erlauben sich selbst im Final Showdown kaum eine nennenswerte künstlerische Freiheit. Der erste Teil "Harry Potter and the Sorcerer's Stone" war kaum als eigenständiger Film zu werten, sondern als werkgetreue, in ihrer technischen Umsetzung nahezu perfekte, in der dramaturgischen allerdings etwas zu harmlose Romanverfilmung, die ihren Hauptreiz daraus zog, die Figuren, die dem landläufigen Harry-Potter-Fan nach vier Romanen bekannt und ans Herz gewachsen waren, endlich leibhaftig vor sich auf der Leinwand zu sehen. "Chamber of secrets" setzt zudem ganz dem Gesetz eines Sequels entsprechend auf den Wiedererkennungseffekt. Harry, Ron und Hermione sind nicht nur als Romanfiguren, sondern ein Jahr nach "Sorcerer's Stone" auch als filmische Sympathieträger etabliert, ebenso die übrigen Figuren des Rowling'schen Magieversums, angefangen vom weisen und gütigen Professor Albus Dumbledore bis zum schuleigenen Groundskeeper Argus Filch und seiner hässlichen Katze Mrs. Norris. Es fällt auf, wie sehr sowohl Buch als auch Film stellenweise wie ein verbessertes Remake des ersten Teils wirken. "Die Geschichte wiederholt sich", jammert auch die Hauselfe Dobby an einer Stelle. Wie bei den Ereignissen rund um den "Philosopher's Stone" bedarf es zunächst aktiver magischer Hilfe, um Harry dem Zugriff seiner Muggel-Zieheltern zu entziehen und erneut seinen Schulbesuch zu ermöglichen, wieder greift das Böse via eines Stellvertreters auf das Zauberinternat Hogwarts über, dessen wahre Ränkeschmiede sich wiederum erst im Finale wie zu einem Puzzle zusammenfügen, wieder sind allein Harry und seine engsten Freunde in der Lage, der Bedrohung standzuhalten. Darstellerisch gibt sich erneut die Creme de la Creme der britischen Schauspiel-Gilde die Ehre. Der vor Kurzem tragischerweise verstorbene Richard Harris kommt in seiner letzten Rolle als Albus Dumbledore ein wenig zu selten ins Bild, während Maggie Smith gewohnt würdevoll, Alan Rickmann routiniert zwiespältig und John Cleese liebenswert versnobt ihre Parts als Professor McGonnagall, Professor Snape und Nearly Headless Nick ausfüllen. Fabelhafte Neuzugänge verzeichnet das Potter-Ensemble mit Kenneth Branagh und Jason Isaac. Regisseur und Shakespeare-Interpret Branagh, der für den terminlich verhinderten Hugh Grant die Rolle des prahlerisch-selbstherrlichen Gilderoy Lockhart übernahm, ist als dummstolz-affektierter, pfauenhafter Hampelmann eine wahre Augenweide. Überhaupt ist die Figur des in theatralischer Selbstverliebtheit förmlich erstickenden Narzissten, auf dessen Konto laut Roman so herrlich beknackte Buchtitel wie "Gadding with Gouls", "Holidays with hags" oder "Travels with trolls" gehen, in Chris Columbus' Inszenierung wunderbar umgesetzt und eingefügt. Wie Gilderoy mit den Posen eines Motivationstrainers und dem pomadigen Gehabe eines Fernsehstars bei Flourish and Blotts aufläuft und die holde Weiblichkeit inklusive Hermione an den Lippen des dummfaselnden Aufschneiders mit dem strahlenden Werbelächeln hängt, das allein ist schon den halben Film wert. Keine Sekunde lang vermisst man Hugh Grant, der wegen der Dreharbeiten zu "In 80 Tagen um die Welt" das Engagement für den zweiten Harry Potter ablehnen musste. Geradezu perfekt besetzt ist auch die Figur des Lucius Malfoy. Jason Isaacs, der sich vor allem in der Rolle des infernalischen Colonel Tavington in Roland Emmerichs "The patriot" als grandioser Schurkendarsteller qualifizierte, verleiht dem ränkesüchtigen Slytherin-Absolventen mit wallender Blondmähne (die ihn perverserweise in einigen Szenen dem unsäglichen Martial-Arts-Knallchargen Matthias Hues ähnlich sehen lässt) Ausstrahlung von sardonischer Gravität. Eine gewisse Nuancenverschiebung der darstellerischen Kaliber ist bei den jungen Schauspielern auszumachen. Daniel Radcliffe spielt seine Titelrolle inzwischen wesentlich routinierter und selbstsicherer, starrt nicht mehr immer nur verschreckt hinter riesigen Brillengläsern hervor und beweist in den Szenen, in denen er sich beispielsweise mit seinem intriganten Dauer-Gegenspieler Draco Malfoy duelliert oder zusammen mit Ron einen leibhaftigen Hogwarts-Professor als Geisel nimmt, richtiggehend Actionformat. Rupert Grint füllt weiterhin wie in Teil eins die reine Sidekick-Funktion für den jugendlichen Helden aus, wobei seine Ein-Grimassen-Performance trotz weitestgehend gelungener One-Liner bisweilen Abnutzungserscheinungen und damit die mimischen Grenzen des 14jährigen aufzeigt. Die quirrlige Emma Watson, die fraglos als Hermione Granger im "Sorcerer's Stone" den temperamentvollen Mittelpunkt der Jungdarsteller-Riege bildete und damit dem übrigen Ensemble mehr als einmal die Schau stahl, hat ihre Klassenprimus-Penetranz um ein paar Grade zurückgeschraubt und muss sogar stellenweise ganz gemäß der Romanvorlage dem Duo Radcliffe-Grint das Feld ganz überlassen. Darstellerisch enorm zugelegt hat Tom Felton als Draco Malfoy: Der inzwischen 15jährige Jungmime wirkte im ersten Film schlicht und einfach noch zu klein, um als ewiger Widersacher Harry Potters zu überzeugen. Weniger treffend besetzt sind dagegen die etwas zu aufgesetzt und hysterisch agierende Julie Walters als Rons Mutter und Mark Williams als Arthur Weasley. Dem liebenswerten, aber leicht tölpelhaft wirkenden Familienvater der rothaarigen Weasley-Sippe nimmt man den engagierten ministeriellen Fahnder nach Muggel-Artefakten, der im Roman Lucius Malfoy beim Besuch von Flourish and Blotts in ein Regal schleudert, schlicht und einfach nicht ab. Bei Ausstattung, Tricks und Effekten konnten Chris Columbus und seine Hogwarts-Illusionäre wieder aus den Vollen schöpfen. Das Zauberinternat mit seinen Sälen, Kammern, Verliesen, Geheimgängen und rotierenden M.-C.-Escher-Treppen wurde in noch großartigerer, detailverliebterer und verschwenderischer Ausstattungspracht in Szene gesetzt als noch im Vorgängerfilm, zudem - ganz dem Charakter des Buches entsprechend - wesentlich düsterer und rätselhafter. Die CGI-Figuren des zweiten Bandes finden tricktechnisch eine viel lebendigere und beeindruckendere Umsetzung als der langweilige Troll und der völlig synthetisch wirkende Zentaur im Vorgänger, angefangen von der sympathischen und glücklicherweise keinerlei Jar-Jar-Binks-Attitüde zeigenden Hauselfe Dobby über diverse Wichtel bis zur Whomping Willow, die Harry und Ron nach ihrem missglückten Flug mit dem prächtig animierten Ford Anglia Arthur Weasleys an den Kragen geht. Und die Großfamilie von Hagrids ehemaligem Kuscheltierchen Aragog vermag problemlos Roland Emmerichs "Eight legged freaks" Paroli zu bieten. Mit ungemein geschmeidigen Bewegungsabläufen wartet das Quidditch-Match des zweiten Teils auf, bei dem sich Harry und Draco eine atemberaubende Achterbahnjagd durch die Tribünenbauten der Arena liefern. John Williams Score illustriert die düsteren Geschehnisse um das kryptisch verrätselte Geheimnis der finsteren Kammer des Schreckens wesentlich ausdrucksvoller und einprägsamer als seine leicht ins Bombastische neigenden Klangkreationen im ersten Film. Dennoch ist das Zaubervergnügen bei Chris Columbus zweiter Joanne-K.-Rowling-Verfilmung nicht ungetrübt. Dass Regie und Drehbuch sich erzählerisch sehr eng an den Roman halten, sei ihnen belassen und dürfte mit dem millionenfachen Kollektivwunsch der globalen Rowling'schen Leserschaft auch weitestgehend korrespondieren. Dramaturgisch jedoch hätten zahlreiche Szenen und Handlungsabfolgen für das optisch-visuelle Erleben eines Filmes um entscheidende Momente nachgeschärft werden müssen. Mehrere Male wirkt "Harry Potter and the chamber of secrets" selbst in dramatischsten Momenten allzu brav abgefilmt, nicht wirklich inszeniert, sondern eben nur bebildert, zwar aufwendig bis ins Letzte an Ausstattung und Details, dafür aber nicht tatsächlich mitreißend und lebendig. Chris Columbus bildet ab, statt in Bewegung zu setzten; er betet nach, statt wo erforderlich zu straffen. Diese Vorgehensweise führt zu einer Dramaturgie des Nacheinander statt des sich steigernden Aufeinanders. Columbus verfehlt zudem manch subtilere Note: Harry Potters einsames und kompliziertes Innenleben kann der Film genauso wenig transportieren wie Dumbledores allwissende Allgegenwärtigkeit oder Rowlings trocken-britisch Sprachwitz. Fraglos ist Chris Columbus wie im ersten Teil eine opulente Bebilderung eines Romans gelungen, doch unterwirft er leider auch die dramaturgischen Funktionalitäten seines Films dem Diktat des Mediums Buch. "Harry Potter and the Sorcerer's Stone" konnte man dies nachsehen, weil der Serienauftakt auch als Roman recht betulich daherkommt und überwiegend als Exposition der darauf folgenden Bände dient. Bei "Chamber of secrets" schmerzt es schon ein wenig, sich zu überlegen, wie ein künstlerisch progressiverer Regisseur die Ideen des Buches umgesetzt hätte. Man darf daher sehr auf den für Sommer 2004 angekündigten dritten Teil gespannt sein, wenn der mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón die Geschehnisse um Sirius Black und den "Prisoner of Azkaban" ins Szene setzen wird. |
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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.