Dracula dürfte im wahrsten Sinne des Wortes zu den unsterblichen Kinofiguren gehören. In knapp 50 Verfilmungen trieb der Urvater aller Blutsauger bereits sein Unwesen. Nachdem Francis Ford Coppola vor sieben Jahren Bram Stokers Novelle ein sehr werkgetreues Denkmal setzte und Elias Merhige in "Shadow of the vampire" dem Urvampir in der Inkarnation des unvergessenen Nosferatu-Darstellers Max Schreck huldigte, lässt "Scream"-Schöpfer Wes Craven den ewigen Transsylvanier jetzt im 21. Jahrhundert landen. Herausgekommen ist mit "Dracula 2000" eine trashige Melange aus magischem Schauer des klassischen Gothic-Horror und zeitgemäßen Kreisch-Standards des Teenie-Horror-Films, durchgestylt in Schnitt und Tempo eines flotten MTV-Videoclips. Zur Neubelegung des antiquarischen Beißer-Mythos bedienten sich Produzent Craven und Regisseur Patrick Lussier ausgiebigst bei zeitgenössischen Vorlagen. Ihr Dracula, den Gerard Butler als dandyhafter Verführer mit Latin-Lover-Habitus gibt, ist nicht nur äußerlich eine genaue Kopie des Supervampirs Valek aus John Carpenters "Vampires". Auch die reichlich verquaste pseudoreligiöse Erklärung seiner Erschaffung und des gesamten Vampir-Mythos haben Cravens Dracula und Carpenters Valek gemein. Doch damit enden bereits die Gemeinsamkeiten. Komponierte John Carpenter anno 1999 seine Blutsauger-Mär als düsteren Abgesang auf den Vampir-Mythos im brachialen Western-Stil eines Sam Packinpah, so katapultiert der Vater des Teenie-Horrors den Höllenfürsten per Sargdiebstahl ins New Orleans des Hiphop-Zeitalters, wo sich der Düstermann alsbald im Angesicht turmhoher Leuchtreklame und hämmernder Heavy-Metal-Videoclips davon überzeugen kann, dass er wohl einige Zeitenwenden verschlafen hat. Beim Überfall Draculas auf diverse willige Highschool-Absolventinnen sowie auf ein Fernsehteam klaute Craven der Einfachheit halber bei sich selbst, nämlich bei "Scream 1". Die Darsteller der adretten Beiß-Opfer, allen voran Voyager-Borg Jeri Ryan alias "Seven of Nine" auf den Spuren von Gayle Weathers) sind ein reines Zugeständnis an das jugendliche Zielpublikum. Die Figur des Abraham Van Helsing stellt die einzig wirklich originelle Idee des Films dar: Christopher Plummer wirkt in der Rolle des ewigen Vampirjägers wie ein Relikt aus seligen Hammer-Film-Tagen, was der Charaktermime mehr als einmal mit der Mimik und Gestik des unvergesslichen Peter Cushing unterstreicht. Und genau ein solches Überbleibsel soll auch jener düstere Van Helsing des Films sein, der sich mehr als hundert Jahre mit Tansfusionen von Vampirblut am Leben hielt, um ein Mittel zur endgültigen Vernichtung Draculas zu finden. Als Profi-Gangster die versiegelte Gruft unter seinem Haus aufbrechen und den silbernen Sarg nebst adligem Blutsauger-Inhalt mitgehen lassen, greift der gealterte Racheengel zu Silberdolch und Bolzenschussgerät, um sich ein letztes Mal seinem großen, dunklen Alter Ego zu stellen. Als Identifikationsfigur für die Zielgruppe des Films bekommt der Veteran Johnny Lee Miller als Zauberlehrling und jugendlichen Sidekick an die Seite gestellt, der fröhlich und unbekümmert gegen die im modernen Matrix-Look auftretende Vampirbrut kickboxen darf. Mit einem Horrorfilm hat das Ganze wenig zu tun, sondern erinnert mehr an eine abendfüllende Folge von "Buffy the Vampire Slayer", rasant in Szene gesetzt von "Tiger & Dragon"-Kameramannn Peter Pau. Wirklich ärgerlich ist allein die penetrante Dauerpräsenz des Werbepartners Virgin, dessen Logo den Kinozuschauer im Schnitt alle zehn Minuten anspringt. |
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Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.