Wenn das Moulin Rouge und Paris um 1900 in etwa aussehen, wie ein Nachbau der Reeperbahn in den Slums von Kalkutta, dann sind entweder Drogen im Spiel, oder Hollywood war allzu übermütig. Wenn dabei trotz allem Musical-Schwung ein bunter Haufen Kitsch herauskommt, weiß man, dass letzteres der Fall war. Doch zum Moulin Rouge: Ein junger Dichter namens Christian (Ewan McGregor), den Kopf voller Flausen und Romantik, flieht seinen Vater und landet in einem Dachzimmer gerade gegenüber der rotierenden Mühlenflügel. Dort taucht er ein ins Bohemia und schließt sich einer Künstlertruppe um den Maler Toulouse-Lautrec. Schnell ist es sein Stück, das im Moulin Rouge produziert und gezeigt werden soll, und ebenso schnell ist er in Satine, den Star der Bühne, verliebt. Kongenial verkörpert durch Nicole Kidman ist sie jedoch nichts weiter als eine Edelhure, die den Geldgeber der Show bei der Stange halten muss - und außerdem noch totkrank. Viel Stoff für ein grandioses Drama, könnte man meinen. Erst recht ein wunderbarer Stoff, um daraus ein Musical zu drechseln und die goldene Ära des Cancan wieder auferstehen zu lassen. Die Produktion ist pompös, Design und Ausstattung suchen bis ins letzte Detail ihres Gleichen. Nicole Kidman und Ewan McGregor spielen ihre Rolle ausgezeichnet und haben auch im Gesangsunterricht nicht geschlafen (obwohl die ganze Chose durch professionelle Sänger und sicher noch mehr Schmiss gehabt hätte). Regie und Kamera führen in einem irrsinnigen Tempo durch die Geschichte, verwenden dabei sämtliche Tricks, Stilmittel und Manierismen, die das Kino zur Zeit bietet. Soviel Bildwitz und optischer Ideenreichtum ist einzeigartig: tatsächlich ist "Moulin Rouge" inszenatorisch nicht nur großartig sondern gehört zum Besten, was auf Zelluloid (oder auf Festplatten) gebannt wurde. Glücksrausch für den Cienasten? Wer erwartet, einen Blick in die Kultur von Epoche und Land werfen zu können, wird enttäuscht, geboten wird nur Staffage. Absinth wird gesoffen in Paris um 1900, und auch im Film erwähnt, aber man sieht es nicht. Weit und breit niemand mit einer Zigarette im Mundwinkel. Das Leben außerhalb des Moulin Rouge wird sogar optisch nur skizzenhaft gezeigt: Ein netter Effekt, ein Stilmittel, das aber nicht funktioniert, weil das Leben im Etablissemnt auch nur eine schöne Maskerade ist, wenn auch nicht als Skizze sondern als buntes Kitschbild dargestellt. Selbst die Musik mag nette Show-Musik auf Höhe der Zeit sein, hat aber wenig mit Cancan und Chanson zu tun - stattdessen gibt es einen Verschnitt aus "Diamonds are a girls best friend" und Madonnas "Material Girl" - im Endeffekt wirken die Liedtexte, als seien sie im Computer entworfen worden. Die gesungenen Passagen kommen textlich an keiner Stelle über beliebig austauschebare Zeilen hinaus - Hauptsache, es fallen regelmäßig Worte wie Licht, Dunkelheit, Liebe, Schmerz... und das alles natürlich immer "until end of time". Die Story folgt als reines Musical immer der zunächst lobenswerten Maxime: Keep it simple. Leider allzu simpel: Die Macher sind sich nicht zu schade, besonders gegen Ende sämtliche Register an Kitsch und Klischees zu ziehen - um den Effekt willen. Das kann man kritisieren, oder auch einfach genießen, denn im Vordergrund steht nunmal keine Geschichte, sondern eben der Effekt - die glitzernde Show. Sicher kann das durchaus unterhaltsam sein, besonders wenn man Musicals mag. Wenn aber 100% aller Musicals klingen, als hätte Andrew Lloyd Webber sie komponiert. So auch dieser Film: Obwohl für die Musik aus Evergreens von Madonna bis Nirvana, von Marylin Monroe bis Queen verwurstet wurde, sehnt man sich doch nach der Rocky Horror Picture Show.
USA 2001, 125 min |
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Diese Kritik ist die Meinung von Enno Park.