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Kino - dafür werden Filme gemacht

Collateral

Gesehen am 26.08.2004 im Cinemaxx Hannover (Presse-Vorführung)

Kritik von Johannes Pietsch

"Im Taxi befindest du dich in einem intimen Raum mit einer anderen Person, gegenüber der du völlig frei bist, denn es spielt keine Rolle, ob du sie magst oder sie dich, denn ihr wißt, ihr werdet euch nie wiedersehen", charakterisierte einmal Jim Jarmusch, jener europäischste unter den amerikanischen Autorenfilmern, das Verhältnis zwischen Taxifahrer und seinem Passagier. In seinem 1991 gedrehten Episodenfilm "Night on earth" hatte er das Spiel der Schicksale, das Sich-Kreuzen gänzlich gegensätzlicher Lebenswege auf der kammerspielartigen Bühne einer nächtlichen Taxifahrt zum Thema gemacht. Möglicherweise hatte Regie-Kollege Michael Mann bei der Konzeption seines neuen Thrillers "Collateral", in dem er Tom Cruise und Jamie Foxx als Killer und Taxifahrer zusammentreffen läßt, ein wenig das Vorbild Jarmuschs im Sinn, denn so wie der in "Night On Earth" in dem zur Weltbühne abstrahierten minimalistischen Spielraum des Taxis Biographien von sich völlig zufällig begegnenden Menschen sich überkreuzen und entscheidende Wendungen nehmen ließ, inszeniert auch Michael Mann eine für seine beiden taxifahrenden Hauptfiguren lange und alles verändernde "Nacht auf Erden".

Ex-TV-Komiker Jamie Foxx, der sich schon mit seinem Auftritt in Michael Manns Muhammad-Ali-Biographie "Ali" fürs Charakterfach empfahl, brilliert in der Hauptrolle des einfach gestrickten, aber außergewöhnlich liebenswürdigen und zuvorkommenden Taxi-Fahrers Max: Eine durch und durch ehrliche Haut ist dieser Mittdreißiger, dessen Planung auf Verwirklichung großer Lebensziele irgend wann einmal ohne ihn zu fragen falsch abgebogen ist und der sich nun - nach wie vor von einer eigenen erfolgreichen Firma träumend - als Taxifahrer durchs Leben schlägt. Max ist einer dieser in heutigen Filmen so häufig anzutreffenden Durchschnitts- und Alltags-Typen, ein Everyman, der sich ohne zu Murren mit seinem Kleine-Leute-Dasein arrangiert und seine Träume als Schutz vor dem allzu tristen und gleichförmigen Alltag bewahrt hat und erst bei näherem Hinschauen seine wirkliche charakterliche Tiefe offenbart. Das große Leben ist an Max vorbeigegangen, und die attraktive Staatsanwältin Annie (Jada Pinkett Smith), die er eines Abends vom Flughafen zu einem Justizgebäude fährt, ist für ihn genauso unerreichbar wie die Karibikinsel, deren Bild er stets im Auto mit sich führt.

Doch so, wie jeder gemäß Andy Warhols berühmtem Zitat einmal für 15 Minuten ein Star sein kann, nimmt das Schicksal in Gestalt von Tom Cruise im Fond von Max' Wagen Platz, welcher sich dem unbedarften Taxifahrer als Geschäftsmann vorstellt, der für 600 Dollar eine Nacht lang zu insgesamt fünf Terminen in L.A. kutschiert werden möchte. Auf dramatische Weise entpuppt sich Vincent bereits bei dem ersten nächtlichen Stopp als Profikiller, der seinen vermeintlichen Geschäftskontakt kaltblütig über den Haufen schießt und Max dazu zwingt, mitsamt Leiche im Kofferraum und Killer auf dem Rücksitz die Fahrt fortzusetzen - eine Fahrt, die für beide alles andere als plangemäß verlaufen soll.

Tom Cruise, einstiger Top-Gun-Flieger, Cocktail-Shaker und Sunnyboy, scheint schon seit geraumer Zeit sein Gefallen an unkonventioneller Rollenauswahl gefunden zu haben. Das von "Pirates of the Caribbean"-Autor Stuart Beattie verfaßte Skript erlaubt ihm, seine ganz besonders abgründigen Facetten hervorzukehren: Als Killer mit eisgrauem Haar und Stoppelbart zeigt sich der Weltstar zum zweiten Mal nach Neil Jordans "Interview with a Vampire" in einer finsteren Rolle und nicht nur äußerlich von seiner bislang ungewohntesten Seite. Sein Auftrags-Mörder Vincent ist eine furchteinflößend böse Variante von Michael Manns Profiler Will Graham aus "Manhunter", abgebrüht, emotionslos, zielstrebig und prinzipientreu, alles dem Ziel seines Auftrages unterordnend, ein eiskalter Engel der Business-Class, der seine Jobs mit teilweise schon an Größenwahn grenzender Larmoyanz und Überheblichkeit - beispielsweise bei einer Schießerei mitten in einer Menschenmenge - ausführt. Cruises Auftreten ist von majestätischer Eleganz, von er sich scheinbar schwerelos auf sein Ziel zubewegt, um im entscheidenden Moment wie ein Vulkan mit archaischer Gewalt zu explodieren - genauso, wie es der wunderbare William L. Petersen als Will Graham konnte.

Da mag Ex-Weltklasse-Taucher Jason Statham, der in Luc Bessons laut-lärmender Kirmes-Action "Transporter" einen charakterlich ähnlich angelegten Part verkörperte und der zu Beginn von "Collateral" bei einem winzigen Gast-Auftritt Tom Cruise begegnet, neidvoll gucken, so perfekt verkörpert der Megastar diesen eisigen Todesengel. Max ist als Charakter die Seele des Films, ein warmherziger, menschenfreundlicher Viscerotoniker - Vincent als dazu antagonistisch angelegter schizothymer Soziopath das Gehirn. Am verstörendsten wirkt dabei nicht die physische Präsenz, Vincents blitzschnelle Reflexe und sein gnadenloses, tödliches Agieren in den Action-Sequenzen von "Collateral", sondern, wie wenig an dieser Figur echt und lebendig zu sein scheint. Jedesmal, wenn man hinter der Fassade des Killers den Menschen zu erblicken glaubt, wird man hämisch von Vincent eines Besseren belehrt. Sein Vater sei ein Trinker gewesen, was seinen Lebensweg mitbestimmt habe, läßt er einmal im Zwiegespräch mit Max anklingen, nur um sich kurz darauf zu korrigieren: "War nur ein Witz." Nicht ein Hauch von Menschlichkeit wird in Vincents zynisch-nihilistischen Dialogenpassagen deutlich.

Trotz der Präsenz seines Co-Stars ist "Collateral" kein Tom-Cruise-Vehikel, sondern eindeutig ein Michael-Mann-Film geworden. Der einstige Miami-Vice-Regisseur, der 1986 im hervorragenden und im Nachhinein geradezu sträflich unterschätzten "Manhunter", der ersten und wesentlich besseren Verfilmung von Thomas Harris' Roman "Red Dragon", den damals vom jungen Brian Cox genial verkörperten Massenmörder Hannibal Lecter erstmalig auf die Menschheit losließ, bewies sich vor allem mit seinem furiosen Gangster-Drama "Heat" als Meister des monumental angelegten Thriller-Epos.

In "Collateral" inszeniert er erneut die Geschichte eines Kräftemessens, nach den beiden so seelenverwandten und wesensgleichen Charakteren in "Heat" diesmal zweier gänzlich unterschiedlicher Figuren: Auf der einen Seite der mechanisch-perfektionistische und wesenskalte Hitman Vincent, dessen eiserne Fassade mit jedem Riß im Gefüge seines ursprünglichen Planes peux a peux ins Wanken gerät, auf der anderen Seite Taxifahrer Max, der nach seiner ersten Fassungslosigkeit mehr und mehr Sicherheit zurückgewinnt, um im entscheidenden Moment über sich hinauszuwachsen.

Drehbuchautor und Regisseur Michael Mann ist es gelungen, diese Charakter- und Beziehungsstudie so geschickt in den Thriller-Plot einzuarbeiten, daß er die Spannung über den Zeitraum von zwei Stunden auf hohem Niveau halten kann. Dies ist um so bewundernswerter, da er nicht nur das Wesen seiner beiden Hauptfiguren präzise untersucht, sondern sich Zeit für ein paar wunderbar stille und poetische Momente läßt. In der wohl intensivsten Szene des Films fachsimpeln Killer Vincent und ein Barbesitzer minutenlang über den Jazz-Trompeter Miles Davis, und für die passende Prise Humor sorgen die Begegnung mit Max' herrischer Mutter, die der Killer und seine Geisel im Krankenhaus besuchen, sowie Max' Telefonat mit seinem Chef, wobei ihn Vincent mit der Waffe zwingt, seinem seit Jahren aufgebauten Frust einmal freien Lauf zu lassen.

Wie in "Heat" kommt dabei der Metropole Los Angeles als Kulisse eine besondere Bedeutung zu. An Originalschauplätzen gedreht, verzichtete Michael Mann auf die bekannten Bilder dieser Stadt am Pazifik: Keine Venice-Beach-Idylle, keine "Hollywood"-Buchstaben, kein Sunset Boulevard. Los Angeles ist in "Collateral" ein effizient funktionierender, düster-stahlblauer Moloch. Die Kamera schaut mit dem Auge der Protagonisten aus dem Taxi auf vorbeiziehende nachtschwarze Wolkenkratzer, der Blick fällt auf Sendemasten, kalte postmoderne Bankenarchitektur und auf Baustoffdepots. "Mitternacht ist keine Zeit sondern ein Ort", schrieb einmal Terry Pratchett. Michael Mann hat diesen Ort in Los Angeles gefunden und findet dafür den poetischsten Ausdruck, wenn vor dem Taxi zwei Wölfe die einsame nächtliche Straße kreuzen. Der großartige Score von James Newton Howard untermalt diese Atmosphäre akustisch mit Jazz-, Techno- und Ambientklängen.

Doch neben solch ruhigen, beinahe schon kontemplativen Szenen wartet "Collateral" mit einigen wenigen, aber hochdramatischen Action-Sequenzen auf, die ihren Höhepunkt in einer hypnotisch inszenierten Schießerei in einem Nachtclub finden. Nicht nur in diese Szene läßt Michael Mann deutliche Reminiszenzen an James Camerons "Terminator" einfließen, wenn er Tom Cruise stoisch, unrührbar und unzerstörbar durch den Kugelhagel schreiten läßt.

"Collateral", das ist meisterliches Darsteller-Kino, gleichermaßen mitreißendes Drama und kühl-perfektes Thriller-Entertainment von maßgeschneidertem Design, mit zwei herausragenden Hauptdarstellern, die sich trotz ihres unterschiedlichen Star-Appeals gegenseitig genügend Freiheit zur schauspielerischen Entfaltung lassen. An einem Punkt hat Michael Mann in dem ansonsten so melodramatischen, beinahe philosophischen Charakter der Handlung eine eigentümliche Sollbruchstelle gesetzt: Als sich die Wege des Killers und des Taxifahrers kurzzeitig trennen, findet sich der Zuschauer auf einmal in einem sehr viel konventionelleren und auf Mainstream-konforme Spannung getrimmten Thriller-Plot wieder, der seine Figuren von ihrer einsamen Odyssee in einen rasanten, Hitchcock-inspirierten Showdown führt. Am Ende des Films fährt ein Zug mit einem einsamen Passagier darin der aufgehenden Sonne entgegen, während ein anderer im Dunkel eines Bahnsteigs bleibt - melancholischer Ausklang und Schlußakkord eines einfach großartigen Films.


Diese Kritik ist die Meinung von Johannes Pietsch.

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