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Kino - dafür werden Filme gemacht

Die fabelhafte Welt der Amélie

26. Aug 2001, Passage, Leipzig

Kritik von Enno Park

Diese Augen. Die computergenerierten Augen der Aki Ross waren das Thema der letzten Kritik. Hier geht es um die riesigen braunen, fast schwarzen Augen der Amélie. Ein stilles und sehr, sehr tiefes Wasser. Wären diese Augen heller, sie spiegelten ihre "fabelhafte Welt", ein Reich der Phantasie, an dem der Zuschauer teilhaben darf. Und ein Genuss, den er keinesfalls verpassen sollte.

Der Film erzählt zunächst in urkomischen Episoden die Kindheit der Amélie. Der frühe Tod der (gestrengen) Mutter und die emotionale Kälte des Vaters, der nicht aus sich heraus kann, machen aus ihr ein kleines, introvertiertes Mädchen, das mit großen staunenden Augen die Welt betrachtet uns sich ihren eigenen Teil hineindenkt. Jahre später ist Amélie erwachsen, sie lebt in einem stark colorierten Montmartre, aber ihre Augen sind nicht kleiner und sie selber ist nicht weniger introvertiert.

Bis sie hinter einer Fliese eine Schachtel mit altem Spielzeug findet. Dieses Ereignis soll ihr Leben völlig auf den Kopf stellen, denn Amélie kommt auf die Idee, wie es denn wäre, den Eigentümer der Schachtel ausfindig zu machen. Kurz: Nach einiger Suche findet sie ihn, spielt ihm die Schachtel zu, ohne sich selber zu offenbaren. Und ein älterer, gescheiterter Herr findet diese kleine Sammlung wertvoller Dinge seiner Kindheit, allzu authentische Tränen der Rührung kommen ihm ob dieses für ihn unerklärlichen Wunders. Amélie hat einen Menschen glücklich gemacht, und dieses kleine Spielchen wird fortan ihre Passion. Denn um sie herum leben noch viele gescheiterte und unglückliche Menschen, die eine Fee brauchen, um ihrem Leben wieder etwas besonderes zu geben.

Regisseur Jean-Pierre Jeunet zeichnet all diese schrägen Figuren äußerst liebevoll. Er schildert einen Mikrokosmos merkwürdiger Typen, deren Charaktere wie Rädchen ineinandergreifen, um ein schönes kleines Gewebe der menschlichen Schwächen und der menschlichen Phantasie zu bilden. Als da wären der an Glasknochenkrankheit leidende Maler, der seit Jahren immer nur das eine Bild von Renoir kopiert und immer an dem selben Gesichtsausdruck scheitert. Die ältliche Concierge, die in einer anderen Welt lebt, seit ihr Mann vor Jahrzehnten mit seiner Sekretärin nach Südamerika durchgebrannt ist. Die hypochondrische Tabakhändlerin, deren eigentliche Krankheit nur die Abwesenheit von ein wenig Liebe und Zuneigung ist. Der schwer gekränkte Sitzengelassene, der manisch jeden Tag im Café, wo seine Verflossene arbeitet, herumsitzt, um jedes ihrer gesprochenen Worte in ein Diktiergerät aufzunehmen.

Für all diese Existenzen und für einige mehr hat Amélie einen kleinen Streich parat, um sie aus ihrer Gedankenwelt zu erlösen - ihrem Leben ein wenig Phantasie einzuhauchen. Nur sie selber ist ebenso unsterblich verliebt, traut sich jedoch keineswegs, sich zu offenbaren, legt immer wieder geheimnisvolle wie verlockende Fährten, denen der Angebetete folgt, nur um immer wieder voller Angst der Begegnung auszuweichen. Natürlich merken die Nachbarn mit der Zeit nicht nur, wer ihre Fee ist, sie merken auch, dass diese Fee selber Hilfe braucht und helfen ein klein wenig nach, damit auch sie ihr Glück finden kann.

Zuckrig? Kitsch? Schmalz? Die Gefahr hätte bestanden. Und wurde abgewendet. "Die fabelhafte Welt der Amélie" ist voller Leichtigkeit und Poesie, voller Schmerz und Glück. Der Film dreht nie das große, melodramatische Rad, sondern ergeht sich in einer unmenge kleiner, liebenswerter Details. Beeindruckend, die Phantasie des Regisseurs und Autors. "Amélie" ist definitiv der gelungenste Film, den Jeunet (Alien 4, Delicatessen, Stadt der verlorenen Kinder), jemals gedreht hat. Es ist jetzt schon der Film des Jahres und auch jetzt schon ein "Kultfilm". Ein überquellendes Füllhorn genialer Einfälle, poetischer Momente, wundervoller Bilder und oft witziger, oft philosophischer Dialoge.

Dass der Film so gut funktioniert, liegt aber auch an der ausgezeichneten Darstellerriege, allen voran Audrey Tautou, die mit ihrem elfenhaften Typ nicht nur eine großartige Entdeckung ist, sondern alle Aussicht hat, so etwas wie eine neue Audrey Hepburn zu sein. Nicht umsonst schreibt "Treffpunkt Kino": "Es ist unmöglich, nicht in Amélie verliebt zu sein." Und die restliche Presse von der kleinen Tageszeitung bis zum großen SPIEGEL überschlägt sich in Lobeshymnen. Zurecht. Wer dieses Kinowunder verpasst, ist wirklich selbst schuld.

Frankreich 2000, 120 min
Audrey Tautou, Matthieu Kassovitz, Dominique Pinon, Serge Merlin, Yolande Moreau
Regie: Jean-Pierre Jeunet


Diese Kritik ist die Meinung von Enno Park.

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